Queere Townhall — Bar jeder Sicht — Déjà-vu?!

Johann Everding

Zum zweiten Mal innerhalb von 10 Monaten sind sich die Mainzer Parteien wieder einig: Tun wir mehr für die queere Community! Damals noch im OB-Wahlkampf, dieses Mal im Kommunalwahlkampf haben die Moderator*innen von Queernet Rheinland-Pfalz, Schwuguntia e. V. und Sichtbar Mainz e. V. keine große Mühe, den Podiumsteilnehmer*innen Bekenntnisse zur LGBTIQ-Community zu entlocken.

 

Zeit, Bilanz zu ziehen

Schon vor einem Jahr stimmten die Parteien überein, mit Fortbildungen das Stadtpersonal für queere Themen zu sensibilisieren. Im Fokus damals wie heute: die Busfahrer*innen. Sie sollten geschult werden, wie man auf Gewalt gegen queere Menschen reagiert. Umgesetzt hat das die Vehrkehrsdezernentin und Aufsichtsratsvorsitzende der Mainzer Verkehrsbetriebe (MVG) Janina Steinkrüger (B'90/Die Grünen) aber nicht. Warum? Das konnte Christin Sauer (B'90/Die Grünen) dem Publikum der gut gefüllten Bar jeder Sicht auf linke Nachfragen von Martin Malcherek hin nicht erklären.

Martin Malcherek: „Bekenntnisse sind schön und gut, sie sind auch wichtig, aber letztlich müssen sich die Parteien an ihren Taten messen lassen. Und da scheitert es meistens am Geld.“

Stattdessen verstecken sich Die Grünen wie auch der Rest der Ampelkoalion SPD und vor allem die FDP hinter dem Credo der Finanzierbarkeit. Martin Malcherek merkt an, die Ampelkoalition habe, selbst als im städtischen Haushalt Geld in Milliardenhöhe zur Verfügung stand, die Ausgaben im Stadtrat anders priorisiert und eben viel zu wenig in die queere Community und allgemein in Kultur investiert. Die Bar jeder Sicht platzt aus allen Nähten. Schön! Doch bedeutet das: 1. größere Räumlichkeiten, 2. Trennung von Kultur- und Gastroräumen, 3. Beratungsräume, 4. Außengastro, und das in innerstädtischer Lage. Die Stadt Mainz steht auch für das Land in Verantwortung, für ein großes und finanziertes queeres Kulturzentrum zu sorgen.

„Schuld sind die anderen“

Wer den Parteien der Ampelkoalition SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP vorwirft, ihre Versprechen nicht einzuhalten und kein Geld zu haben, der wird nicht ernst genommen, und zwar egal, ob wir Linke oder Besucher*innen der queeren Townhall das tun: Als Martin Malcherek zurecht mehr Geld für queere Projekte forderte, ging Christin Sauer (B'90/Die Grünen) doch glatt der Satz über die Lippen: „Ich bin ganz froh, dass Die Linke nicht in Regierungsverantwortung ist.“ Will sie etwa lieber mit der FDP regieren? Das kann doch nicht ihr Ernst sein! Und vor allem ist es einfach kein Argument gegen sinnvolle linke Programmatik. Auf die Anmerkung aus dem Publikum, dass die hessische SPD einen Koalitionsvertrag unterschieben hat, in dem eine gendergerechte Sprache in Schulen, Hochschulen und dem Hessischen Rundfunk verboten werden soll, spottete Paul-Erik Koop (SPD), das sei ja die SPD auf der anderen Rheinseite. Der Townhallbesucher legte nach: Die rheinland-pfälzische Landesbildungsministerin Dr. Stefanie Hubig (SPD) habe den Schüler*innen Sonderzeichen und das Binnen-i verboten. Stille vom SPD-Vertreter. Von der CDU, die diesen Unsinn politisch vorantreibt, ganz zu schweigen.

Ich bin eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu. — Ödön von Horváth

Zur Meldung aus dem Publikum, dass es in Hessen aber auch besser laufen kann, nämlich dass z. B. Darmstadt und Wiesbaden deutlich mehr Fördergelder aufbringen als Mainz, ergänzt Martin Malcherek: „Die hessischen Kommunen sind finanziell vielfach besser aufgestellt, sei es bei der Kultur oder dem Sozialen.“ Da stehe Mainz den hessischen Kommunen in Vielem nach. Die Ausfinanzierung der Kommunen liegt aber bei der Landesregierung. Es ist allgemein bekannt, dass die Schulden der Kommunen im Land Rheinland-Pfalz hoch sind und die Kommunen damit handlungsunfähig gemacht werden. Das Land zwingt die Kommunen dazu, „freiwillige“ Leistungen, darunter die Kultur — konkret heißt Kultur z. B. „Bar jeder Sicht“ und „CSD“ —, als Erstes zu streichen.  Das Land wird, wie die Stadt und der Bund auch, von der Ampelkoalition regiert. Überzeugen müssten die Podiumsteilnehmer*innen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP also nur ihre eigenen Parteifreund*innen ...

Ein klares Bekenntnis konnte Martin Malcherek den übrigen Parteien inklusive CDU dann doch abringen: Sie alle unterstützen die Aufstockung der Förderung der Bar jeder Sicht auf 30.000 Euro. Wird es auf der nächsten queeren Townhall zu einem erneuten Déjà-vu kommen? Die Linke tut alles dafür, dass es nicht so kommt.

Hier könnt ihr unser vollständiges Statement lesen

Auf der Homepage von Schwuguntia sind die Statements der anderen Parteien bis zum Wahltag, dem 09.06.2024 abrufbar.